Der dritte Teil über meine Anfänge in Japan. Wer die anderen Teile noch nicht kennt, kann vorher gerne Teil 1 und Teil 2 lesen. Im letzten Teil war ich in Tsunashima angekommen und stand vor meinem zukünftigen Hotel…… ähm ich meine Wohnheim.
Inhalt
1. Nicht alle Türen sind automatisch
Ich trat durch die imposante Holztür und stand vor einer durchsichtigen Glasschiebetür, die mich an einen Konbini erinnerte. Ich muss einfach nur weitergehen, dachte ich, aber die Glastür öffnete sich auch nicht, als ich mich auf wenige Zentimeter näherte. Sie war damit meine erste nicht-automatische Schiebetür in Japan. Erst jetzt bemerkte ich, dass neben der Tür eine Sprechanlage war. Ich klingelte und eine weibliche Stimme meldete sich. Ich stellte mich vor und sagte, dass ich ein neuer Austauschstudent bin. Ein paar Sekunden später erschien auch schon von innen eine junge Japanerin und öffnete mir die Tür — Eintritt genehmigt.
Sie begrüßte mich freundlich, stellte sich als Risa vor und brachte mich in einen großen Raum mit vielen Tischen und Stühlen. Hier war die Cafeteria meines Wohnheims. Bevor ich nach Japan flog, konnte ich mir aus vielen verschiedenen Wohnheimen eines aussuchen und wählte dieses, weil es erstens ein „gemischtes“ Wohnheim war, also Japaner und Ausländer zusammenwohnten, und es zweitens eine Cafeteria gab, in der von Montag bis Samstag jeden Tag Frühstück und Abendessen serviert wurden. Ich war schon sehr gespannt auf das Essen. Wobei ich die Cafeteria vor allem als Ort sah, an dem man leicht Kontakte knüpfen konnte, da man fast jeden Tag mit den gleichen Leuten zusammen am Tisch sitzen würde. (Dies kann ich nachträglich nur bestätigen: Nichts ist verbindender als mit anderen zusammen zu essen. Wenn ihr in einem Wohnheim wohnt, dann am besten in einem mit Cafeteria!!!)
2. Hotel mit Hausregeln
Ein weiterer Japaner, diesmal ein Mann mittleren Alters, begrüßte mich ebenfalls herzlich. Er war der ryōchō (寮長), der Wohnheim-Chef, und gleichzeitig der Koch. Schließlich setzte ich mich, um ein paar Dokumente in Empfang zu nehmen und die Hausregeln erklärt zu bekommen. Alles lief auf Englisch und Japanisch ab, je nachdem wie gut ich es verstehen konnte, wobei der ryōchō — wie von einem wahren Boss erwartet — nur Japanisch sprach. Die Regeln waren streng, aber klar: um 23:00 war Sperrstunde und man sollte nicht ohne einen triftigen Grund später heimkommen. Dann gab es noch Jungen- und Mädchen-Flure, die vom jeweils anderen Geschlecht nicht betreten werden durften. Interessanterweise gab es beide Regeln nicht in Wohnheimen, die nur von Ausländern bewohnt wurden. Japanische Studenten scheinen wohl mehr Regeln zu benötigen 😉
Weitere Regeln: Das Frühstück war von 7:00 bis 9:00 und das Abendessen von 18:00 bis 22:00 — wie im Hotel nur länger. Eine Zusatz-Regel besagte, dass man spätestens um 21:30 sein Abendessen abholen und spätestens um 21:55 sein Tablett mitsamt Geschirr abgeben sollte. Nachdem ich alle Regeln durchgelesen und erklärt bekommen hatte, wurde ich von Risa auf mein Zimmer im zweiten Stock geführt. Es gab einen Aufzug, für den ich wegen meiner beiden schweren Koffer sehr dankbar war. Meine Zimmertür öffnete sich und ein 16 Quadratmeter großes Zimmer strahlte mir entgegen. Das Wohnheim war erst ein paar Jahre alt, weshalb alles im Zimmer aussah wie neu.
Ich hatte ein eigenes Bad mit beheizbarer Toilette — ich liebe sie –, einer Dusche und Badewanne, alles in Plastik gehalten, wie es in Japan typisch ist. Dann gab es noch einen Schreibtisch mit Stuhl, einen Kühlschrank, ein Bett, ein Waschbecken mit Spiegel, einen großen Schrank, einen kleinen Balkon, perfekt um Wäsche zu trocknen, WLAN und eine (!!!) Waschmaschine. Meine Bettwäsche konnte ich ebenfalls alle zwei Wochen kostenlos wechseln und mir jederzeit einen Staubsauger ausleihen. Wenn ich mein neues Zimmer mit meinem Zimmer im Studentenwohnheim in Düsseldorf verglich, kam ich mir wie in einem 5 Sterne-Hotel vor. Alles kostete mich „nur“ knapp 600 Euro pro Monat, was für diesen Komfort aber ein mehr als fairer Preis war.
Ich war begeistert und lauschte vergnügt wie Risa mir die Waschmaschine erklärte. Schließlich wurde ich alleingelassen und konnte in Ruhe auspacken. Nach dem Mini-Zimmer im Hotel in Kawasaki kam ich mir vor wie im Studenten-Paradies. Als ich fertig war, ging ich nach unten in die Cafeteria, um auf andere Austauschstudenten zu warten. Das Wohnheim war nahezu leer. Der Grund dafür waren die Semesterferien, in denen viele Japaner und Ausländer bei ihren Familien oder im Urlaub sind. Doch plötzlich wurde geklingelt. Wer das wohl ist? Ein Neuankömmling? Kurz darauf trat ein europäisch aussehender Student in die Cafeteria. Es war Robert, ein deutscher Austauschstudent, der für ein halbes Jahr bleiben sollte. Wir begrüßten uns und die Prozedur, die ich schon durchlaufen hatte, lief erneut für ihn ab.
3. Anfang, Ende, Snoopy
Nachdem Robert ausgepackt hatte, sagte er mir, dass er sich mit einer deutschen Freundin namens Lisa treffen wollte, die ein Jahr in Japan verbracht hatte und bald wieder nach Deutschland zurückflog. Ich beschloss, mit ihm zu gehen. Vorher holten wir aber noch unser erstes kaisendon bei einem Take-Out-Restaurant ab und aßen es in der Cafeteria, weil wir beide noch kein Mittagessen gehabt hatten. Dabei half uns Kenji, ein japanischer Mitbewohner, der aufgrund eines Auslandsaufenthalts sehr gut Englisch sprechen konnte. Dies war hilfreich, da Robert überhaupt kein Japanisch sprach (und es bis zu seiner Abreise auch nicht lernen würde).
Wir trafen Lisa beim Bahnhof und erkundeten zusammen die Gegend um das Wohnheim. Es gab neben dem Wohnheim einen Fluss mit grasbewachsenen Dämmen an beiden Seiten, wie man es aus Animes kennt. Wir gingen den Damm entlang und setzten uns unter eine Brücke. Es war schon ein komisches Gefühl mit zwei anderen Deutschen in Japan herumzusitzen. Zwei von uns starteten gerade ihr Abenteuer in Japan und die andere musste nach einem Jahr schon wieder gehen. Lisa sagte, dass sie am liebsten noch länger bleiben würde und traurig war, dass sie in ein paar Tagen zurückfliegen musste. Obwohl ich erst ein paar Tage in Japan war und noch 12 Monate vor mir hatte, wurde mir sofort bewusst, wie kurz eigentlich ein Auslandsaufenthalt ist — ich musste meine Zeit in Japan voll auskosten.
Als unsere Mägen knurrten, suchten wir ein Fastfood-Restaurant. Dies sollte ebenfalls eine „Schlüsselszene“ für mich werden, da ich zum ersten Mal Sukiya betrat, ein japanisches Gyūdon-Restaurant. Gyūdon ist Reis mit Rindfleisch als Topping, wobei es daneben noch andere zusätzliche Toppings gibt, wie zum Beispiel Frühlingszwiebeln oder ein rohes Ei. Seit diesem ersten Besuch ging ich regelmäßig bei Sukiya Gyūdon essen und mein absolutes Lieblingsgyūdon wurde Cheese-Gyūdon mit Tabasco-Sauce. Von diesem konnte ich auch einige meiner Freunde überzeugen. Wenn ihr einmal in Japan seid, solltet ihr auf jeden Fall diese göttliche Kombination ausprobieren. Am besten bei Sukiya — ich weiß auch immer noch nicht, ob es Cheese-Gyūdon bei anderen Gyūdon-Ketten überhaupt gibt.
Nachdem ich mein erstes Gyūdon-Set-Menü verputzt hatte, gönnte ich mir zum Abschluss noch ein weiß-blaues Snoopy-Eis mit Vanille-Soda-Geschmack. Alles war superlecker und ich war überrascht, dass man für knapp fünf Euro ein volles Mittagsmenü bestehend aus einer Schale Gyūdon, einer Miso-Suppe, einem undefinierbaren braunen Getränk, das nach einer Mischung aus Wasser, Tee und Kaffee schmeckte, und einem Salat bekam. Japan ist gar nicht so teuer, war ich ab diesem Zeitpunkt überzeugt. In Deutschland bekommt man für fünf Euro gerade einmal einen Döner oder Pommes mit Currywurst, aber kein halbwegs gesundes Menü.
Lisa managte alles und zeigte uns, wie man in einem Restaurant auf Japanisch bestellte. Ich war beeindruckt darüber, wie selbstverständlich sie Japanisch sprach und problemlos kommunizierte. In diesem Moment merkte ich auch, dass ich zwar schon seit rund zwei Jahren Japanisch lernte, aber immer noch nicht wusste, wie man in einem japanischen Restaurant nach der Rechnung fragt. Die wichtigsten Wörter einer Sprache lernt man eben nicht im Unterricht, sondern erst im Alltag. Schließlich gingen wir zum Wohnheim zurück, wo sich Lisa von uns verabschiedete.
4. Wake Me up When September Ends
Während unserer Abwesenheit war noch ein weiterer Austauschstudent eingetroffen. Wir warteten auf ihn in der Cafeteria, da er noch seine Willkommens-Prozedur abschließen musste und auf seinem Zimmer war. Er hieß Daniel und war ein chinesischstämmiger Amerikaner. Vom Äußeren war er somit nicht von einem Japaner zu unterscheiden, weshalb uns einmal eine am Nebentisch sitzende Japanerin beim Mittagessen in Sukiya ansprach und anmerkte, wie gut Daniel doch als Japaner Englisch sprechen konnte. Wir haben sie aber aufgeklärt, dass er Amerikaner ist und sie damit (leider) auf den Boden der Realität zurückgeholt, wobei es auch in echt gut Englisch sprechende Japaner gibt — sind nur selten. Daniel war mein direkter Zimmernachbar und wir wurden im Austauschjahr sehr gute Freunde.
Die nachfolgenden Tage machte ich mit anderen internationalen Mitbewohnern — unter anderem Hongkonger, Chinesen, Vietnamesen, Indonesier, Singapurer — meine ersten Trips nach Yokohama und Tokyo. Dabei besuchten wir Yokohamas Chinatown, Hafen und Pokemon Center sowie Shibuya, ein matsuri (Schreinfest) und Akihabara in Tokyo. Auch statteten wir Okurayama, eine Nachbarstadt von Tsunashima, einen Besuch ab, um schon einmal zu schauen, wo das Ward Office war, in dem wir uns melden mussten, um unsere Aufenthaltskarten zu erhalten. Eine Aufenthaltskarte, zairyū card (在留カード), dient als eine Art Ausweis und brauchen alle Personen, die länger (als drei Monate) in Japan wohnen.
Nachdem wir in einen kleinen Park in Okurayama gegangen sind und ein kleines Museum namens Okurayama Memorial Hall besucht hatten, fielen mir die vielen Mückenstiche auf, die meine Beine und Arme bedeckten. Die Mückenstiche waren extrem riesig und man konnte sie mit den kleinen, süßen Stichen von deutschen Mücken nicht vergleichen. Auch wurde mir eines Nachts auf meinem Bett schwindelig und ich hatte das Gefühl, dass es von den Mückenstichen kam. Zum Glück hatte ich nur Probleme mit Mückenstichen in der Anfangszeit in Japan. Nachher schienen die Mücken das Interesse an mir verloren zu haben — vielleicht mochten sie mein von den vielen japanischen Snacks bestimmt sehr süß gewordenes Blut nicht mehr.
Außerdem eröffneten wir in den ersten Tagen mit der Unterstützung unserer japanischen Wohnheim-Tutoren japanische Bankkonten, um die Miete für das Wohnheim bezahlen zu können, und besorgten uns supergünstige Sim-Karten (3 GB/Monat für 900 Yen) in Yokohamas Big Camera-Store. Wir gingen zu dieser Zeit auch das erste Mal in einen lokalen sentō, ein traditionelles japanisches Badehaus. Leider besitzen sentō keine natürlichen heißen Quellen wie ein onsen, aber trotzdem ist das heiße Wasser sehr entspannend. Wir stiegen jedoch bald auf einen in der Nähe gelegenen Onsen-Spa um, wo man für unter 20 Euro theoretisch den ganzen Tag entspannen konnte. Bis zum Start des neuen Semesters Ende September bzw. Anfang Oktober lief alles entspannt ab und das Wohnheim war nahezu nur von Ausländern bevölkert. Als das Wohnheim langsam wieder voller wurde, schmiss der ryōchō für uns noch eine Willkommensparty mit großem Sushi-Buffet.
5. Ist mein Japanisch sch….?
Im September gab es außer vergnügliche Ausflüge auch noch Infoveranstaltungen an der Uni für Austauschstudenten und eine kleine Willkommensfeier für alle neue Studenten. Da ich Teilnehmer des Japanese Language Programs meiner Uni war, musste ich zusätzlich Ende September den sogenannten Placement Test schreiben. Dieser Test entschied, in welches Japanischlevel man eingestuft wurde und welche Japanischkurse man besuchen durfte. Viele Austauschstudenten waren sehr aufgeregt deswegen und lernten den ganzen Tag Japanisch, um ein hohes Level zu erreichen. Ich ging das Lernen etwas ruhiger an — weil ich durch Tokyo und Yokohama mehr als genug Ablenkung hatte.
Der Tag des Tests kam und ich hatte das Gefühl, dass mein Japanisch ziemlich schlecht war. Der Witz an dem Test war, dass er für alle Niveaus gleich war. Die Aufgaben fingen beim Anfängerniveau an, nur um sich dann ziemlich schnell ins fortgeschrittene Level zu verlieren. Mir schien, dass die Prüfer die Mittelstufe komplett ausgelassen hatten. Es gab nur total einfach und total schwer. Zum Schluss sollte man noch lange Dialoge hören und sich Notizen machen, um erst nachträglich gestellte Fragen zu beantworten. Ich fand mich schon im Anfängerlevel wieder und ein Hauch von Panik stieg nach diesem merkwürdigen Test in mir hoch.
Danke fürs Lesen. Das Resultat verrate ich euch dann im nächsten Teil 😉