Heute stelle ich euch drei japanische Bücher vor, die von hierzulande eher unbekannten japanischen Autoren stammen. Was daran liegen könnte, dass von ihnen erst ein oder zwei Bücher ins Deutsche übersetzt wurden. Wie im vorherigen Beitrag schreibe ich dabei nur über japanische Bücher, die ich komplett gelesen und mir sehr gut gefallen haben. Einen Hinweis vorab: Um den Inhalt der Bücher vorzustellen, werde ich jedes Mal den Buchrückentext zitieren. Wer also nur wenig über den Buchinhalt erfahren möchte, der sollte eventuell nur ein paar Sätze der Zitate lesen — ich bin auch eher der Typ, der so wenig wie möglich gespoilert haben möchte.
Inhalt
1. Hideo Yokoyama mit „64“
Hideo Yokoyama (1957*, Tokyo) ist zwar in Japan ein sehr populärer Krimi-Autor, aber hier erregt der Name nur Schulterzucken, es sei denn ihr habt seinen über 750 Seiten starken Wälzer „64“ gelesen. Yokoyama hat an der Tokyo National University Wirtschaft studiert und arbeitete ursprünglich als investigativer Journalist bei einer regionalen Zeitung in der Präfektur Gunma. Nach 12 Jahren im Dienst begann er ab 1991 seine ersten Kurzgeschichten und Kriminalromane zu veröffentlichen.
An dem auch in Deutschland erschienen Roman „64“ hat er sage und schreibe zehn Jahre geschrieben, was aber auch daran lag, dass er während des Schreibens einen Schlaganfall erlitten und unzählige Überarbeitungen verfasst hat. Diese Zeitinvestition hat sich jedoch gelohnt, da sein Mammutwerk zu einem riesigem Erfolg wurde: „64“ wurde als bester japanischer Kriminalroman des Jahres 2013 ausgezeichnet, stand auf Platz 1 der japanischen Bestsellerliste, wurde 2016 in Japan verfilmt und bis heute weltweit mehr als 1,5 Millionen Mal verkauft. Auch seine weiteren Werke wurden mit Preisen versehen und in diverse Fremdsprachen übersetzt.
Im Januar 1989 wird in Tokio ein siebenjähriges Mädchen entführt. Die verzweifelten Eltern tun alles, um die Forderungen des Entführers zu erfüllen. Doch alle Bemühungen sind vergebens. Der Entführer entkommt unerkannt mit dem Lösegeld, kurz darauf wird die Leiche des Mädchens gefunden. Die Ermittlungen der Polizei laufen ins Leere. Der Fall geht unter dem Aktenzeichen 64 als ungelöstes Drama in die Kriminalgeschichte Japans ein. Vierzehn Jahre später verschwindet die Tochter von Yoshinobu Mikami, dem Pressesprecher eines kleinen Polizeireviers. Mikami, selbst Gefangener eines übermächtigen Verwaltungsapparats, stößt kurz darauf auf ein geheimes Memo zu Fall 64. Getrieben von einer dunklen Ahnung beginnt er, auf eigene Faust zu ermitteln …
64
„64“ ist kein typischer Thriller, der mit Schockmomenten und übertriebener Gewalt den Leser Angst einjagt und auf diese Art zum Weiterlesen animiert. Auch ist er kein japanischer Mitrate-Krimi wie man es von Hideo Higashinos Büchern kennt. Nein, er ist vielmehr eine detaillierte Schilderung des japanischen Polizeiapparats mit all seinen Abteilungen, bürokratischen Hürden und inneren Ränkespielchen, die in einen Kriminalfall eingebettet ist. Das komplexe Verhältnis zwischen der Polizei und den Medien wird ebenfalls sehr ausführlich beschrieben. Zudem geht es um das Thema familiärer Verlust und die schwierige Frage, wie man damit umgeht. Ein Genre-Mix, der mir bei japanischen Büchern das erste Mal begegnet ist.
Ich habe mich aber trotz dieser interessanten Mischung anfangs mit dem Buch leicht schwergetan, weil ich einen spannenden Kriminalfall erwartet hatte, aber die Entführung in der ersten Hälfte nur eine Nebenrolle spielt. Die Beschreibung der Bürokratie und die zum Teil trockenen Sitzungen zwischen Polizisten und Journalisten haben sehr viele Seiten eingenommen und mich kurzzeitig sogar dazu getrieben, ans Aufhören zu denken.
Dass ich „64“ doch nicht weggelegt habe, lag daran, dass ich erstens wissen wollte, wie dieses ungewöhnliche japanische Buch ausgeht und zweitens — besonders in der zweiten Hälfte — eine spannende Geschichte mit der ein oder anderen überraschenden Wendung erzählt wird. Wer also Lust hat, einen japanischen Krimi der etwas anderen Art zu lesen und viel über die Polizeiarbeit, Bürokratie und Arbeitskultur in Japan erfahren möchte, kann gerne zugreifen.
2. Kazumi Yumoto mit „Am Ende des Sommers“
Kazumi Yumoto (1959*, Tokyo) haben die meisten ebenfalls nicht auf dem Schirm, wenn man an japanische Autoren denkt. Ich kannte sie bis vor Kurzem auch nicht. Doch dann bekam ich ihr Buch „Am Ende des Sommers“ geschenkt, was ich daraufhin sofort verschlungen habe. Yumoto studierte ursprünglich Komposition am Tokyo College of Music und verfasste schon während dieser Zeit Skripte für Opern. Nach ihrem Abschluss schrieb sie Hörspiele und Drehbücher für das Fernsehen, bevor sie sich dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern widmete.
Ihr Debütroman „natsu no niwa (夏の庭)“ erhielt 1992 den Newcomer-Preis der Japanische Gesellschaft für Kinderliteratur. Bereits 1994 wurde der Jugendroman in Japan verfilmt und schon früh in mehr als zehn Sprachen übersetzt. Darauffolgend erhielt er den prestigereichen Boston Globe-Horn Book Award für englische Kinder- und Jugendliteratur und wurde unter dem Titel „Gespensterschatten“ 1996 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. „Am Ende des Sommers“ ist nun die komplett überarbeitete deutsche Neuauflage.
Es ist der Anfang eines heißen japanischen Sommers. Als Yamashita von der Beerdigung seiner Großmutter zurückkommt, wollen seine Klassenkameraden Kiyama und Kawabe genau wissen, wie das war. Ja, wie ist es eigentlich, wenn man tot ist? Wie sieht ein Mensch aus, der stirbt? Und was passiert, wenn wir aufhören zu atmen?
Gemeinsam fassen die Drei den Beschluss, einen alten Mann im Quartier heimlich zu beobachten, da dieser bestimmt bald sterben wird. Täglich treffen sie sich auf ihrem „Beobachtungsposten“ hinter der Mauer des kleinen Hauses mit dem verwilderten Garten.
Aber dann entwickeln sich die Dinge anders als erwartet…
Am Ende des Sommers
Obwohl sich „Am Ende des Sommers“ auf den ersten Blick an Kinder und Jugendliche richtet und mit nur 180 Seiten relativ kurz ist, kann ich sagen, dass dieser Roman eines der besten japanischen Bücher ist, die ich bis jetzt gelesen habe, und auch für Erwachsene mehr als geeignet ist. Ich persönlich mochte einfach alles an diesem Buch — von der Story über den Schreibstil bis zu den Charakteren — und war traurig, als ich es ausgelesen hatte.
Die Geschichte um drei Freunde, die wissen möchten, wie es ist zu sterben, klingt erst einmal befremdlich, aber im Nachhinein geht es nicht um den Tod, sondern um Themen wie Freundschaft, das Erwachsenwerden und das Leben an sich. Beim Lesen des leichtverdaulichen und wirklich gut geschriebenem Textes kommt zudem eine japanische Stimmung auf, die ich bei vielen anderen japanischen Autoren in ihren Büchern manchmal vermisse. Man spürt beim Schmökern richtig den japanischen Sommer und man erinnert sich daran, wie es war, als man selbst noch ein Kind gewesen ist.
Wer ein kurzweiliges japanisches Buch sucht, das traurig und lustig zugleich ist, das für Entschleunigung sorgt und einem nach dem Lesen nachdenklich mit einem weinenden und einem lachenden Auge zurücklässt, der sollte es auf jeden Fall lesen. Am besten im Sommer entspannt im Grünen, so wie ich.
3. Miyuki Miyabe mit „Feuerwagen“
Von der Autorin Miyuki Miyabe (1960*, Tokyo) gibt trotz ihrer weltweiten Popularität nur ein ins Deutsche übersetztes Buch. Natürlich ein Unding, aber kommen wir erst einmal zu ihrer Person. Miyabe arbeitete nach ihrem High School-Abschluss als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei. Mit 23 Jahren fing sie schließlich mit dem Schreiben an und besuchte Autorenkurse vom japanischen Kondansha-Verlag. Ihr Buchdebüt erschien 1987 mit einer Kriminalkurzgeschichte, die ihr sofort zwei begehrte japanische Krimi-Preise einbrachte. Ihre folgenden Werke von der Kindergeschichte über Science-Fiction bis zur Fantasy-Novel erhielten weitere Literatur-Preise und wurden in mehrere Sprachen übersetzt. In Deutschland kennen vielleicht einige den Anime „Brave Story“, dessen Handlung auf Miyabes gleichnamigem Buch beruht.
1993 erhielt sie für ihren Kriminalroman „Feuerwagen“ den Yamamoto Shūgorō-Preis, ein überaus prestigeträchtiger Preis für ein neues literarisches Werk, das sich durch eine herausragende Erzählweise auszeichnet. „Feuerwagen“ kam auch bei Lesern und Kritikern auf der ganzen Welt gut an und verkaufte sich millionenfach. Japanische Verfilmungen folgten 1994 und 2011. Die deutsche Auflage dieses 400-seitigen Bestsellers erschien erst 2011 — rund 20 Jahre später…
Eine junge Frau verschwindet über Nacht und lässt alles, was zu ihrem alten Leben gehörte, hinter sich. Als Homma Shunsuke, ein Kommissar des Fahndungsdezernats, der gerade eine Schussverletzung auskuriert, von einem Verwandten gebeten wird, die Suche nach ihr aufzunehmen, scheint es sich zunächst um eine ganz gewöhnliche Frau zu handeln. Doch als niemand sie auf einem Foto wiedererkennt, wird er misstrauisch und forscht in ihrer Vergangenheit. Dort kommt er einem schier unglaublichen Geheimnis auf die Spur…
Feuerwagen
Ich fand „Feuerwagen“ einfach nur genial. Was als normale Detektivgeschichte beginnt, entwickelt sich immer mehr zu einem komplexen Fall aus unvorhergesehenen Irrungen und Wirrungen. Die Story spielt in den 90er-Jahren, eine Zeit, die in Japan auch als verlorene Dekade bezeichnet wird, da nach der geplatzten Wirtschaftsblase am Ende der 80er-Jahre ein Jahrzehnt der wirtschaftlichen Rezession folgte. Passend dazu spielt das Problem der Verschuldung eine tragende Rolle im Roman.
Schon der Titel „Feuerwagen“, auf Japanisch kasha (火車), deutet die Verschuldungsthematik an, was aber nur von Japanern oder Menschen, die sich für japanische Geister und Dämonen interessieren, verstanden werden kann. Denn ursprünglich ist ein kasha ein japanischer Katzendämon, der die Leichen von sündigen Menschen mit einer brennenden Kutsche zur Hölle fährt. Doch mit der Zeit wurde die Bezeichnung „hi no kuruma ((火車)“ eine Alternative Lesart der japanischen Schriftzeichen für kasha zu einem Synonym für finanzielle Probleme — wahrscheinlich weil man als Schuldner nicht vom kasha, sondern von seinen Gläubigern die Hölle heißt gemacht bekommt.
Es ist ebenfalls immer wieder erfrischend, dass viele japanische Bücher, so auch „Feuerwagen“, in einer Zeit spielen, in der es noch keine Handys, Internet und auch nur bedingt Computer gibt — der sehr späten deutschen Übersetzung sei Dank. Dadurch kann der Protagonist in Miyabes Werk nicht einfach etwas googeln oder mailen, sondern muss mit viel Laufarbeit der Lösung des verzwickten Falls näher und näher kommen. Ihm dabei zuzusehen, während gleichzeitig der trübselige japanische Zeitgeist der 90er-Jahre eingefangen wird, sorgte dafür, dass ich immer weiterlesen wollte. Neben Verschuldung werden aber auch noch weitere — leider immer noch hochaktuelle — gesellschaftskritische Themen wie Datenschutzprobleme und Konsumzwang in diesem spannenden Kriminalroman behandelt. Klare Leseempfehlung!
4. Was kennt ihr für japanische Bücher abseits des Mainstreams?
Nach der Vorstellung dieser drei Bücher von eher unbekannten japanischen Autoren würde mich interessieren, was ihr für japanische Bücher kennt, die den meisten deutschsprachigen Personen unbekannt sind. Oder kanntet ihr die vorgestellten Bücher oder Autoren schon und meine Auswahl an „unbekannten“ japanischen Büchern und Autoren ist gar nicht zutreffend? Lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen!
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hideo_Yokoyama
https://ja.wikipedia.org/wiki/%E6%A8%AA%E5%B1%B1%E7%A7%80%E5%A4%AB
https://en.wikipedia.org/wiki/Kazumi_Yumoto
https://ja.wikipedia.org/wiki/%E6%B9%AF%E6%9C%AC%E9%A6%99%E6%A8%B9%E5%AE%9F
https://de.wikipedia.org/wiki/Miyuki_Miyabe
https://en.wikipedia.org/wiki/Miyuki_Miyabe
https://ja.wikipedia.org/wiki/%E5%AE%AE%E9%83%A8%E3%81%BF%E3%82%86%E3%81%8D