Glücklicher Drache

Der Glückliche Drache V – 23 unglückliche Fischerleben

Das Fischerboot „Glücklicher Drache V“ (第五福龍丸, Daigo Fukuryū Maru) wurde 1947 in Wakayama, Japan gebaut. Erst als Bonito-Fischkutter und später als Tiefsee-Thunfisch-Fänger schipperte es mit seiner 23-köpfigen Besatzung auf der Suche nach großen Fängen durch die Weltmeere. Doch im Jahre 1954 sollte es auf seine letzte reguläre Fahrt gehen. Am 22. Januar 1954 stach die Besatzung in See, um bei den Midwayinseln in der Nähe von Hawaii zu fischen. Doch sie verloren ihre Schleppnetze in den Korallenriffen und änderten daraufhin ihren Kurs in Richtung Marshallinseln — eine verhängnisvolle Entscheidung.

1. Castle Bravo

Am 1. März fischte die Besatzung in der Nähe der Marshallinseln, wozu auch die Inseln des Bikini-Atolls gehören. Die USA hatte seit Oktober 1953 an diesem Tag eine Gefahrenzone beim Bikini-Atoll ausgewiesen. Nur Schiffe innerhalb dieser Zone sollten nach den Berechnungen der amerikanischen Forscher beim geplanten geheimen Wasserstoffbombentest zu schaden kommen. Auch die Besatzung des Glücklichen Drachens V war über die Gefahrenzone informiert und da sie außerhalb fischten, wähnte sie sich in Sicherheit.

Marshallinseln-und-Bikini-Atoll
Die Markierung der Marshallinseln ist bei der Hauptinselinselkette platziert, bei der sich auch der Glückliche Drache V befand (in der Nähe der Insel Namu). Das Bikini-Atoll gehört ebenfalls zu den Marshallinseln.

Das einzige was die Besatzung morgens um 6:45 Uhr von der Bombe sah, war ein helles Leuchten am westlichen Himmel, das an einen Sonnenaufgang erinnerte. Jedem war sofort klar, dass etwas nicht stimmte, weil die Sonne normalerweise nicht im Westen aufgeht. Die Explosion im Bikini-Atoll erzeugte einen 14 km hohen Atompilz, einen 7 km breiten Feuerball — der „Sonnenaufgang“ — und einen 2 km breiten Krater. Dieser Castle Bravo genannte Nukleartest war die fünft stärkste nukleare Explosion der Geschichte und noch im Umkreis von 400 km zu sehen. Mit einer Explosionskraft von 15 Megatonnen, war die Wasserstoffbombe tausendmal stärker als die Atombomben, die die USA auf Hiroshima und Nagasaki 1945 geworfen hatten (Wer mehr über den Unterschied zwischen einer Wasserstoff- und Atombombe wissen möchte, kann hier klicken).

Der Glückliche Drache V, ein kleines Holzboot mit einer Länge von 25 m und einem Gewicht von 140 t, war weit genug entfernt, weshalb die Druckwelle der Bombe keinen Schaden verursachte. Was aber weder die USA noch andere wussten, war, dass die ihre Bombe mehr als zweimal so stark war wie vom Labor vorhergesagt. Die doppelte Zerstörungskraft in Kombination mit ungünstigen Wetterbedingungen führten dazu, dass das nukleare Fallout außerhalb der Gefahrenzone geweht wurde.

2. Todesasche

Obwohl die Besatzung sich immer weiter vom Bikini-Atoll wegbewegte, regnete es Stunden später daher radioaktive weiße Asche aus Korallen und Sand auf das Schiff. Die Fischer versuchten so schnell wie möglich diesen tödlichen Nebel zu entkommen, doch sie brauchten noch circa sechs Stunden, um ihren Fang einzuholen und das Gebiet verlassen zu können. In der Zwischenzeit haben sie den radioaktiven Staub mit ihren bloßen Händen einfach in Säcke getan — leider einer von vielen tödlichen Fehlern.

Ein Fischer berichtete sogar nachher, dass er etwas von der weißen Asche probiert hatte. Er beschrieb sie als sandig und nach nichts schmeckend. Die Asche klebte an ihren Körpern und am Schiff, kam in ihre Nasen sowie Augen und sammelte sich selbst in ihrer Unterwäsche. Am Anfang schmerzten nur die Augen, doch am Abend hatten die Ersten bereits strahlungsbedingte Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel und Durchfall. Drei Tage später bildeten sich Blasen an den Stellen, wo die Asche die Haut berührt hatte. Zudem wurden die Gesichter von einigen dunkel, andere litten unter Haarausfall. Aus diesem Grund wurde der Fallout von ihnen auch „Todesasche“ ((死の灰, shi no hai) genannt. Doch was war genau in diesem tödlichen radioaktiven Cocktail enthalten?

Einer der Besatzung sammelte etwas von der Asche in einem Beutel, um sie in Japan analysieren zu lassen. Das Fatale war aber, dass er diesen Beutel in die Nähe der Schlafplätze hing, wodurch die Strahlenbelastung für die gesamte Besatzung zusätzlich erhöht wurde. Spoiler: Nachfolgende Untersuchungen der Universität Tokyo zeigten, dass die Asche von einer Wasserstoffbombe stammte und aus den radioaktiven Stoffen Strontium-90, Cäsium-137, Selenium-141 sowie Uran-237 bestand.

3. Strahlenopfer

Am 14. März erreichte der glückliche Drache V aufgrund einer stürmischen See verspätet den Hafen in Yaizu, Shizuoka. Diese Verspätung war ein Glücksfall, weil zu dieser späten Stunde nur noch sehr wenig Fisch an diesem Tag auf den japanischen Markt verkauft werden konnte. Der Rest lagerte noch einen Tag weiter im Schiff, während die Besatzung sofort in verschiedenen Krankenhäusern in Yaizu und Tokyo untersucht wurde. Ihre Behandlung war leider nicht sehr effektiv, weil anfangs noch nicht klar war, was genau passiert war. Eine Blutuntersuchung zeigte beispielsweise, dass bei einem Fischer seine weißen Blutzellen auf die Hälfte vom normalen Level abgenommen hatten.

Erst der japanische Biophysiker Dr. Nishiwaki fand heraus, dass die Fischer und ihr Schiff durch die Asche radioaktiv verstrahlt worden waren. Unter anderem zeigten Untersuchungen am Schiff, dass noch in 30 m Entfernung Strahlung gemessen werden konnte. Daraufhin wurde das Schiff von der Polizei vom Fischmarkt zu einem anderen Hafen in Yaizu gebracht. Alles an Bord vom Kohl bis zu toten Kakerlaken wies hohe Strahlenwerte auf. Daraufhin wurde der Hauptteil der geladenen Thunfische über Bord geworfen.

Schnell schrieb Dr. Nishiwaki einen Brief an die amerikanische Atomenergiekommission AEC (Atomic Energy Commission), um mehr Informationen über eine potenzielle medizinische Behandlung der kranken Fischer zu bekommen. Die Fischer litten nun offiziell an der Strahlenkrankheit (Acute Radiation Syndrome). Doch es kam keine Antwort aus Amerika und auch weitere japanische Hilfsgesuche blieben unbeantwortet.

4. Unterlassene amerikanische Hilfeleistung

Die Amerikaner versuchten die genaue Zusammensetzung des Fallouts zu verheimlichen. Sie hatten nämlich Angst, die Sowjets könnten diese Informationen für den Bau einer eigenen Wasserstoffbombe nutzen. In der Folge wiesen sie jegliche Schuld von sich zurück. Das Zynischste war, dass der Direktor der amerikanischen Atomenergiekommission sogar behauptete, dass die Verletzungen der Fischer nicht vom Fallout, sondern vom ätzendem Calciumoxid von Korallen kam. Auch sagte er, dass die Fischer wahrscheinlich sowjetische Spione waren, die in der Gefahrenzone auf Spionagetour waren. Im klaren Widerspruch dazu weiteten die USA trotzdem die Gefahrenzone beim Bikini-Atoll aus und schränkten Thunfischimporte ein.

Die einzige Reaktion war, dass zwei amerikanische Mediziner nach Japan geschickt wurden. Diese sollten die Folgen der Strahlung auf die Besatzung und das Schiff untersuchen (und den japanischen Kollegen etwas zur Hand gehen). Schließlich wurden alle verstrahlten Fischer in ein Krankenhaus in Yaizu unter Quarantäne gestellt sowie ihre kompletten Besitztümer auf dem Krankenhausgelände verbrannt. Ebenfalls wurden ihnen alle Haare abrasiert, da man auch in ihren Haaren und Nägeln hohe Strahlenwerte gemessen hatte.

Nach einiger Zeit wurden alle Männer in das Universitätskrankenhaus Tokyo verlegt. Hier blieben sie für mindestens 14 Monate. In dieser Zeit untersuchte man sie täglich und nahm regelmäßig Blut und Knochenmark ab. Symptome wie hohes Fieber, innere und äußere Blutungen und Durchfall quälten sie weiterhin. Einer der schlimmsten Strahlenfolgen war, dass ihr Knochenmark angegriffen wurde und es in seiner Funktion gehindert wurde, neues Blut zu bilden. Als hauptsächliche Therapie dienten Bettruhe, Antibiotika und Bluttransfusionen.

5. Akichi Kuboyama

Noch während ihrer Behandlung im Krankenhaus starb der Funker Akichi Kuboyama am 23. September nach nur sechs Monaten mit den letzten Worten: „Ich bete, dass ich das letzte Opfer einer Atom- oder Wasserstoffbombe bin.“ Die übrigen 22 Fischer wurden am 20. Mai 1955 nach 14-monatiger Behandlung entlassen. Danach mussten sie jährlich medizinische Untersuchungen über sich ergehen lassen, damit man die Langzeitfolgen der Strahlung und eventuelle weitere Komplikationen beobachten konnte.

Traurigerweise wurden die Fischer genau wie die Atombombenopfer (被爆者, hibakusha) von Hiroshima und Nagasaki stigmatisiert, weil die Japaner damals Angst vor den Strahlenopfern hatten und glaubten, dass ihre Krankheit ansteckend war. Mit diesem Wissen versuchten alle die Ursache ihrer Krankheit nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus geheim zu halten. Einige zogen auch von ihrer Heimatregion weg, um an einem anderen Ort einen Neustart zu wagen. Die Opfer des Glücklichen Drachen V wurden aber zusätzlich damit bestraft, dass sie nicht die gleiche medizinische Unterstützung erhielten wie Atombombenopfer, obwohl sie an den gleichen Symptomen zu leiden hatten.

Viele von ihnen starben jung zwischen 47 und 67 Jahren. Meist an Krebs oder Leberversagen.

6. Anti-Atombomben-Bewegung

Anfangs spielten die USA den Vorfall herunter und behaupteten, dass die radioaktive Kontamination minimal war. Folglich zahlten sie lediglich an die Witwe des verstorbenen Kuboyama 2,800 Dollar (2021: 26,700 Dollar). Aus weiteren Verhandlungen zwischen der japanischen und der amerikanischen Regierung gab es 1954 am Ende noch eine einmalige Kompensation von 15,3 Millionen Dollar, von der die Fischer jeweils gerade einmal 5,550 Dollar (2021: 52,800 Dollar) erhielten. Eine Nebenbedingung war, dass die japanische Regierung den Fischern daraufhin keinen Atombombenopfer-Status gewähren und keine weiteren Entschädigungen mehr fordern sollte. Das Schicksal des Glücklichen Drachens V wurde zwar weltweit bekannt, doch noch hunderte weitere (japanische) Fischerboote sind bei dem Wasserstoffbombentest durch das Fallout zu Schaden gekommen.

Auch war das Unglück des Glücklichen Drachens V der Anfang einer starken Anti-Atombomben-Bewegung in Japan. Eine Rolle spielte dabei auch die Angst der Japaner vor weiterem kontaminierten Thunfisch. Denn auf über 683 japanischen Fischerbooten wurde seit Castle Bravo kontaminierter Thunfisch entdeckt. Nach dem Kuboyamas Tod nahm die Bewegung noch mehr an Fahrt auf. Die erste Weltkonferenz gegen Atom- und Wasserstoffbomben wurde bereits 1955 in Hiroshima veranstaltet. Weitere Konferenzen und Demonstrationen gegen den Gebrauch von Atom- und Wasserstoffbomben sowie die Politik zwischen Japan und den USA folgten.

Obwohl die Amerikaner das verstrahlte Schiff am liebsten selbst entsorgt hätten, kaufte die japanische Regierung den Glücklichen Drachen V, um es auf Raten japanischer Wissenschaftlicher zu untersuchen. Ab 1956 diente es schließlich mit dem neuen Namen Hayabusa Maru als Trainingsschiff der Tokyoter Fischerei-Universität. 1967 ging das Schiff in Rente und lag eher als Müll als als Schiff in einem Kanal in Tokyo. 1970 wurde es schließlich aus dem Wasser geholt. Die Tokyoter Stadtregierung wollte es restaurieren und als ein Symbol gegen Nuklearwaffen ausstellen.

7. Der Glückliche Drache V heute

Nachdem klar war, dass das Schiff unbedenklich einem Publikum gezeigt werden konnte, wird es seit 1976 in der Tokyo Metropolitan Daigo Fukuryū Maru Exhibition Hall im Yumenoshima Park für die Öffentlichkeit ausgestellt. Einer der Fischer hat zudem mithilfe von Spenden ein kleines Steinmonument am Tsukiji-Fischmarkt in Tokyo errichtet, das an die an Nukleartests leidenden Thunfische erinnern sollte. 1999 wurde es jedoch entfernt und gegen eine Metallplatte ausgetauscht. Für Popkultur-Fans ist noch interessant, dass die Geschichte des Glücklichen Drachens V die Inspiration zum ersten Godzilla-Film am 3. November 1954 war. Auf einem Filmposter für einen Godzilla-Film von 2001 ist es ebenfalls zu sehen.

Glücklicher Drache V
Der Glückliche Drache V in der Tokyo Metropolitan Daigo Fukuryū Maru Exhibition Hall

Man kann nur hoffen, dass es bald wirklich keine Wasserstoff- und Atombomben auf der Welt gibt. Die Geschichte dieser unglücklichen Fischer zeigt, dass Nuklearwaffen schon in ihrer Entwicklung großen Schaden an Menschen, Tieren und dem Rest der Umwelt anrichten können und keinen Platz auf der Erde haben sollten.

Wer mehr über einmalige geschichtliche Vorfälle in Japan erfahren möchte, dem empfehle ich zu guter Letzt noch meinen Artikel über den ersten schwarzen Samurai.

Quellen:

https://en.wikipedia.org/wiki/Daigo_Fukury%C5%AB_Maru#/media/File:Daigo_Fukury%C5%AB_Maru_01.JPG

https://en.wikipedia.org/wiki/Daigo_Fukury%C5%AB_Maru

https://tokyocheapo.com/entertainment/daigo-fukuryu-maru-lucky-dragon/

http://d5f.org/en/

https://www.dw.com/de/was-unterscheidet-wasserstoff-und-atombombe/a-40354193

https://www.wagingpeace.org/castle-bravo-sixty-years-of-nuclear-pain/

https://de.wikipedia.org/wiki/Gl%C3%BCcklicher_Drache_V

https://ja.wikipedia.org/wiki/%E7%AC%AC%E4%BA%94%E7%A6%8F%E7%AB%9C%E4%B8%B8

https://thebulletin.org/2018/02/how-the-unlucky-lucky-dragon-birthed-an-era-of-nuclear-fear/

6 Antworten auf “Der Glückliche Drache V – 23 unglückliche Fischerleben”

  1. Sehr interessanter Artikel, arigatou! Wieder was gelernt. Wenn ich das nächste Mal in Tokio bin, werde ich mir das Schiff auf jeden Fall mal ansehen.
    Viele Grüße
    Felix

    1. Hallo Felix,

      danke für deinen Kommentar. Ich war leider auch noch nicht beim Glücklichen Drachen V, aber er steht auf jeden Fall
      auch auf meiner Liste, wenn ich mal wieder in Tokyo bin. Man sieht sich vielleicht 😉

      Viele Grüße

      Flo

    1. Hallo Tanaka89 ,

      vielen Dank für diese sehr interessante Frage. Ich habe mal etwas recherchiert und herausgefunden, dass
      Handelsschiffe und Fischerboote in Japan oft „Maru“ im Namen tragen.
      Es scheint bestimmte Namenskonventionen für japanische Schiffe zu geben. Kriegsschiffe werden zum Beispiel
      nach Bergen oder alten Präfekturen benannt.

      Wenn du mehr wissen möchtest, kann ich dir diesen Beitrag empfehlen:
      http://languagehat.com/japanese-ship-names/
      oder auch Wikipedia:
      https://en.wikipedia.org/wiki/Japanese_ship-naming_conventions

      Viele Grüße

      Flo

    1. Konnichiwa Geisha,

      vielen Dank fürs Lesen und für dein Feedback! Das Boot ist auf jeden Fall einen Besuch wert 😉

      Viele Grüße

      Flo

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